Unter strikter Abgrenzung des Razionalismo italiano und unter Ablehnung von Le Corbusiers Wohnmaschinen setzten die Mailänder Architekten Alberto Salvati und Ambrogio Tresoldi ihre Ideologie einer lebendigen Architektur in zahlreichen Bauten, Umbauten und auch Möbelentwürfen um. Beeinflusst von der Unbeschwertheit der Italianità der 1950er-Jahre und inspiriert von der innovativen Gruppe Memphis unter Ettore Sottsass, entwickelten die beiden jungen Architekten einzigartige Projekte, geprägt durch eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von Architektur und Kunst. Sie waren zwischen 1960 und 1980 Teil der Mailänder Szene und verfolgten einen experimentellen, spielerischen Ansatz, wobei in ihren Bauten Farbe und Malerei eine wichtige Rolle spielten, von der Pop-Art bis zum Hyperrealismus.

Der halbrunde, leuchtend gelb gestrichene Treppenkörper und die türkisblau gemusterten Fliesen definieren den Eingangsbereich der Villa Salvati.
Die Räume, die sie entwarfen, waren Räume der Freiheit und keine Rückzugsräume, die Bauten waren keine Maschinen, sondern offene Bereiche, die vielfältige Möglichkeiten für das Zusammenleben boten. Alberto Salvati und Ambrogio Tresoldi bezeichneten ihre Projekte als Bühnen des Alltags. Sie forschten in einer Gruppe mit Renzo Piano über italienische Möbelhersteller und die Möglichkeiten, in die Produktion einzugreifen, und arbeiteten an Projekten, bei denen die Möbel in den Raum integriert wurden. Ihre Arbeit wurde regelmässig in der Zeitschrift «Domus» veröffentlicht und in der Triennale Milano ausgestellt. Daneben entwickelten die beiden Architekten avantgardistische und farbenfrohe Möbel. Das ADI Design Museum Milano zeigte 2023 die Ausstellung «Art Color Design» über Salvati & Tresoldi x Saporiti Italia. Kuratiert wurde die Ausstellung von der GPT Gaffurini Pagani Tresoldi Architetti Balerna, deren Mitinhaber Matteo Tresoldi der Sohn des Architekten Ambrogio Tresoldi ist.

Der offene, doppelgeschossige Wohnbereich ist durch einen Kamin unterteilt. Fast alles befindet sich im Originalzustand.
Weisse Skulptur in der Landschaft
Inspiriert von der Leichtigkeit der Entwürfe Gio Pontis und unter Einbezug leuchtender Farben, setzten Salvati & Tresoldi Architetti ihre Ideen auch bei den drei Bauten für Alberto Salvati und seine beiden Brüder oberhalb des Gardasees um. Diese drei kubischen Gebäude haben wenig mit den traditionellen Villen am See gemein. Das Grundstück liegt in den Hügeln, umgeben von Olivenbäumen und Zypressen, und bietet einen herrlichen Blick auf die umliegende Landschaft und den Gardasee. Einer der skulpturalen Kuben ist die Casa Salvati, das Ferienhaus des Bruders von Alberto Salvati, eines Modefotografen, das Simone und Ulrich Grau 2019 gekauft und sorgfältig renoviert haben – ein durch den unkonventionellen Umgang mit Geometrien und Farben einzigartiges Haus.
«Die Casa Salvati war für uns ein Glückstreffer. Ein Ort, der von uns bewahrt und mit Liebe gestaltet wurde.»
Die Casa Salvati, gebaut aus vorgefertigten Betonelementen, wirkt wie eine weisse Skulptur in der grünen Landschaft, doch der erste Eindruck täuscht. Der von aussen sichtbare, halbrunde Treppenbereich ist in einem leuchtenden Gelbton gestrichen und bietet zusammen mit den türkisblau gemusterten Fliesen, im Rautenmuster verlegt, einen Vorgeschmack auf die unkonventionellen Innenräume. Auf den weissen Fassaden sind die Fenster in verschiedenen Grössen und Formen wie auf einer Spielzeugbox verteilt – quadratisch oder rechteckig, schmal und hoch oder als runde Öffnungen konzipiert. An der überdachten Südfassade erinnert ein kubischer, türkisblauer Balkon wie ein leuchtender Farbtupfer an Sommer im Süden.

An der überdachten Südfassade unterbricht ein kubischer, türkisblauer Balkon die weisse Fläche.
Das Haus erstreckt sich über zwei Geschosse, die über eine geschwungene Treppe verbunden sind. Über den Eingang erreicht man den offenen Wohnbereich, der durch einen Kamin unterteilt wird. Im Erdgeschoss befinden sich die allgemeinen Räume, die verschiedene Funktionen in harmonische Raumfolgen zusammenfassen. Ein doppelgeschossiger Bereich sorgt für Grösse und Licht. Jedes Detail ist durchdacht und sorgfältig ausgeführt. In der Mittelwand sind Nischen für Regale und Schränke eingelassen. Auch die Möbel sind passend ausgewählt und ergänzt worden. Darunter befinden sich einige Originalentwürfe der Architekten. Die Wendeltreppe ins Obergeschoss führt auf eine Galerie mit drei Schlafzimmern, wovon eines mit einer roten Faltwand abgetrennt werden kann. Auch hier dominieren leuchtende Farben und verbreiten eine helle Leichtigkeit. Dazu gehört ein weiteres Bad.
Für Alberto Salvati und Ambrogio Tresoldi war der Einbezug von Farbe und die Zusammenarbeit mit Künstlern und Grafikern integrierter Bestandteil ihrer Architektur. So hat auch bei diesem Haus der Grafiker Giuliano Barbanti die abstrakten Elemente der Fassaden entworfen und diese mit türkisfarbenen Mustern – als Schachbrett oder in Rautenform – auf Fussböden und Wänden von Terrasse, Küche und Bad weiterentwickelt. Giuliano Barbanti war ein vielfach ausgezeichneter Künstler und Grafiker, arbeitete ab 1969 mit den Architekten Salvati und Tresoldi zusammen und realisierte mit ihnen künstlerische Arbeiten im öffentlichen und privaten Raum.
«Wir freuen uns darauf, die Casa Salvati mit unseren Gästen zu teilen.»
Fast alles befindet sich im Originalzustand – Böden und Fenster, Küche und Bäder sowie Einbauten und Möbel. Simone und Ulrich Grau haben den Charakter der Casa Salvati erhalten und mit Rücksicht auf die bestehende Substanz und das einzigartige Interieur gekonnt und sorgfältig restauriert, die Wände in den Originalfarben gestrichen, Elektrik und Heizung saniert und an die neuen Vorgaben angepasst. Für die Innenräume mit Möblierung und Dekoration orientierten sie sich an alten Fotografien.
Um die Freude an diesem besonderen Ort, der beeindruckenden Architektur und den lichtdurchfluteten Räumen mit den farbenfrohen Akzenten zu teilen, vermieten die neuen Besitzer:innen die Casa Salvati an designaffine, interessierte Paare und Familien. Oder sie stellen es für Shootings zur Verfügung, wie 2022 für die Kampagne von Marimekko. So bleibt das Haus auch weiterhin eine Bühne des alltäglichen Lebens, wie es sich die Architekten einst vorgestellt haben.