Kreatives Multitalent

Atelier

Nahaufnahme von Mann, der Cello spielt

Cellist: Auch in der Musik lebt Frank Rettenbacher seine Kreativität aus – und komponiert dazu auch selbst.

Anfangs entwarf er Autos: Nach dem Industriedesign-Studium in Graz sammelte Frank Rettenbacher (geboren 1979 in Vorarlberg) erste Berufserfahrungen bei Audi Design in Ingolstadt. Dann heuerte er als Produktgestalter bei Philips an, wo er seither das Design aller TV-und Audio-Produkte verantwortet. Der von ihm entworfene Glasfernseher «DesignLine» für Philips wurde in die permanente Sammlung des Amsterdamer Museums für Moderne Kunst (Het Stedelijk Museum) aufgenommen. Parallel dazu gründete er sein eigenes Studio in Amsterdam, um Entwürfe mit renommierten Möbelherstellern wie Zanotta oder Thonet zu realisieren. Der Vater von zwei Töchtern ist ausserdem künstlerisch tätig, spielt Cello und hat kürzlich sein erstes Musikalbum veröffentlicht.

Arbeitsplatz: Sein Studio im Multikulti-Viertel Amsterdam-Oost dient dem Designer als kreative Spielwiese.

Kreativkosmos: Modelle, Skizzen und Prototypen von Möbeln offenbaren Franks gestalterische Bandbreite.

Glasfernseher: Für Philips entwirft der Designer TV- und Audio-Produkte wie etwa das Modell «DesignLine».

Ob Stuhl oder Fernseher – deine Objekte sind virtuos gestaltet und zeitlos schön. Was macht für dich gutes Design aus?

Frank Rettenbacher: Langlebigkeit, Zeitlosigkeit und universelle Einsetzbarkeit sind für mich Werte, die ein Produkt zu einem guten Designobjekt machen – das war schon immer so. Qualitativ und ästhetisch bleibt gutes Design dauerhaft relevant und damit langlebig und nachhaltig. Allerdings verlangt die heutige Schnelllebigkeit in einer Welt, in der sich Trends und Bedürfnisse ständig ändern, dass Designer:innen und Unternehmen anpassungsfähig bleiben. Die Herausforderung liegt darin, Produkte so zu gestalten, dass sie flexibel auf veränderte Anforderungen reagieren – sei es durch modulare Bauweise, einfache Reparierbarkeit oder eine zeitlose Ästhetik, die sich in verschiedenen Umgebungen bewährt. Gutes Design muss heute also sowohl zeitlos als auch anpassungsfähig sein, um sich in einem sich kontinuierlich wandelnden Umfeld zu behaupten.

Was bedeutet dir das freie Entwerfen von Möbeln und Objekten in deinem eigenen Studio?

FR: Neben meinem Hauptjob geniesse ich das freie Entwerfen von Möbeln total, das Schaffen von etwas Analogem. Dabei mache ich im Studio alles alleine – von ersten Handskizzen über Renderings bis zu 3D-gedruckten Vormodellen. Als bekennender Perfektionist überlasse ich kein Detail der Produktentwicklung dem Zufall. Die akribische Ausführung aller Aspekte eines Entwurfs ist mir sehr wichtig. Meine Akribie ist dabei manchmal schon ein bisschen nerdig, ich kann beispielsweise aus der Maserung einer Rückenlehne ein ziemliches Ding machen. (lacht) Der neue Stahlrohrstuhl «S 243» für Thonet etwa, der anlässlich der Büromöbelmesse Orgatec 2024 in Köln präsentiert wurde, ist in rund vier Jahren Entwicklungsarbeit gereift. Entstanden ist ein stapelbarer Allrounder mit Vierfussgestell, der dem Prinzip von Gestalt und Qualität seiner historischen Vorbilder im Thonet-Portfolio folgt und eine durchdachte Konstruktion mit formaler Leichtigkeit vereint.

zwei Hände skizzieren einen Stuhl mit Filzstiften

Handskizzen: Colorierte Zeichnungen stehen bei Frank Rettenbacher stets am Anfang des Entwurfsprozesses.

Nahaufnahme von Stühlen aus Holz und Metall

Stapelstuhl: Der neue «S 243» für Thonet kombiniert ein Stahlrohrgestell mit Formholzteilen für Sitz und Rücken.

Wie läuft der Entwurfsprozess typischerweise bei dir ab?

FR: Erstmal geht es darum, den Kontext des neuen Produkts zu verstehen – etwa die Geschichte des Unternehmens und sein gestalterisches Erbe – und diese Elemente in den Entwurf miteinzubeziehen. Im Fall des neuen Stuhls für Thonet war das sogar ein Muss. Das eigentliche Entwerfen beginnt bei mir stets mit Handskizzen. In der frühen Phase ist dabei fast immer von allem zu viel da: zu viele Skizzen, zu viel Form, zu viele Elemente, zu viel Design. Die wichtigste Phase danach ist, die Essenz des Entwurfs zu finden – eine lange Phase des Weglassens. Es ist wirklich ein Prozess des Entfernens, nicht des Hinzufügens. Manchmal geht das schnell, manchmal dauert es eine Ewigkeit, aber irgendwann spürt man diesen Moment, in dem man weiss, dass ein gutes Produkt entsteht. Im weiteren Verlauf werden die Entwurfsvarianten als Renderings ausgearbeitet, um konstruktive Details in dreidimensionalen Ansichten zu visualisieren, bevor es in den Modellbau geht. Beim Stuhl «S 243» haben wir beispielsweise mit 3D-Drucken im Massstab 1:5 zahlreiche Gestellvarianten getestet, die Ergonomie weiterentwickelt und die Stapelbarkeit verfeinert. Schliesslich folgten Prototypen in Originalgrösse.

Gibt es Vorbilder in deiner Arbeit als Designer?

FR: Ich mag Produkte, die zu Klassikern geworden sind, und frage mich, was ihren Erfolg und ihre Beliebtheit begründet. Erst danach interessiert mich, wer sie entworfen hat – und oft stosse ich dabei auf dieselben Namen. Ich liebe etwa die Arbeiten der Bouroullec-Brüder. Sie schaffen es, kommerzielle Produkte mit künstlerischem Ausdruck zu gestalten – Objekte voller Sensibilität, Feingefühl und mit perfekten Proportionen. Ein weiteres Vorbild ist für mich Dieter Rams in seiner lebenslangen Zusammenarbeit mit Braun und mit seinen Möbelentwürfen für Vitsoe. Rams verfolgt in seiner Arbeit eine interessante Dualität, die sich auch in meiner Arbeit findet: einerseits im Bereich der Technologie, andererseits im Bereich der analogen Produkte wie Möbel. Sein Ansatz, Form und Funktion in perfekter Harmonie zu vereinen, prägt meine eigene Arbeit bis heute. Marken wie Braun damals oder Apple heute inspirieren mich, weil sie mit akribischer Konsequenz eine einheitliche Designsprache verfolgen und Produkte schaffen, die so hochwertig sind, dass sie zu Kultobjekten werden.

«Gutes Design muss heute sowohl zeitlos als auch anpassungsfähig sein, um sich zu behaupten.»  

Das Cover deines ersten Musikalbums «Morba», das du unlängst veröffentlicht hast, stammt ebenfalls aus deiner Feder, oder?

FR: Ja, genau. Für das Plattencover wollte ich ein Artwork schaffen, das die Musik, aber auch den Label-Namen «StringTheoryRecords» einfängt. Inspiriert von der Stringtheorie, die alle Teilchen als vibrierende Fäden beschreibt, zeigt es ein dichtes Gewebe von Haaren, die organisch ineinander wachsen. Dieses Bild steht symbolisch für die Kompositionen, in denen Cello, Klavier und Electronics zusammenfliessen und eine harmonische Einheit bilden. Die Farben habe ich spontan gewählt: Wie auch bei meinem Stuhlentwurf für Thonet mag ich erdige, pastellige Farben und Off-Töne, die ein wenig abseits der Primärfarben liegen und eine subtile Wärme ausstrahlen.

Welche Bedeutung hat das Musizieren für dich?

FR: Ich spiele seit Kindertagen Cello, mein Zwillingsbruder Martin, der Medientechnik studiert hat und mit seiner Familie in Paris lebt, genauso lange Geige. Neben meiner Arbeit als Designer lebe ich auch in der Musik meine Kreativität aus und komponiere auch selbst. Mein Debütalbum Morba, das klassische und elektronische Musik fusioniert, habe ich gemeinsam mit dem befreundeten niederländischen Produzenten und DJ Bardo Camp veröffentlicht. Wenn ich Cello spiele, schalte ich komplett ab. Dann entsteht ein Gefühl von Freiheit und Klarheit in meinem Kopf – keine Gedanken mehr an Arbeit oder den Alltag, sondern einfach Loslassen und Tagträumen.

Regal mit Vinyl, Tischheuchte und Stereoanlage

Artwork: Auch das Cover seines unlängst erschienenen Debütalbums «Morba» gestaltete er selbst.