Zeitlos spezifisch

Porträt: Balissat Kaçani

Zwei junge Architekten sitzen an einem Tisch mit Modellen, rechts im Vordergrund ein angeschnittenes Büchergestell

Didier Balissat (links) und Joni Kaçani in ihrem Büro in Baden.

Schon bei der Frage, warum sie über­haupt Architekten werden wollten, stösst man bei Didier Balissat und Joni Kaçani auf die Themen, die sie bis heute beschäftigen. «Mich hat schon immer fasziniert, dass man als Architekt etwas schafft, was physisch erlebbar ist. Plötzlich steht man in einem Raum, der vor nur we­nigen Wochen noch ein Plan war», erzählt Didier Balissat. Er hat eine Lehre als Hochbauzeichner absolviert und nach einem Bachelor an der Fachhochschule noch ein Masterstudium an der ETH angehängt, wo er Joni Kaçani kennenlernte. Dieser kam hin­gegen durch abstraktere Überlegungen zum Beruf: «In meiner Vorstellung waren die Qua­litäten, die es für Architektur braucht, eine technische Affinität, eine Begeisterungs­fähigkeit für Geometrie, aber auch eine gewisse Belesenheit, ein Zusammenführen von Kunstgeschichte, Philosophie etc. Der Gedanke, diese Fächer zu vernetzen, hat mich gereizt.» Dieses vernetzte Denken und die Übersetzung von Gesprächen mit Bauherr­schaften, zukünftigen Bewohner:innen und Fachleuten aus den verschiedensten Diszip­linen in ein bewohnbares Gebäude begeistern das Duo bis heute an ihrem Beruf.

«Wenn man genau hinschaut, ist das Resultat nie kon­ventionell, denn Konventionelles entsteht aus Vorurteilen.»  

In ihrer Arbeit wehren sie sich gegen Schemata und suchen für jedes Projekt eine individuelle Herangehensweise. Die Grund­lage dafür ist das genaue Hinschauen – und dadurch entsteht auch Einzigartiges: «Wenn man genau hinschaut, ist das Resultat nie kon­ventionell, denn Konventionelles entsteht aus Vorurteilen.» Gerade bei Umbauten wird der Bestand intensiv hinterfragt: Welcher Le­bensentwurf wurde in diesem Gebäude ver­räumlicht? Welche ökonomischen Umstände wie zum Beispiel Ressourcenknappheiten oder verfügbare Werkzeuge führten zu sei­ner Bauweise? Welche sozialen Bedingungen prägten es? Anschliessend versuchen Balissat und Kaçani, die bestehenden Räume neu zu bewerten, ohne sie abreissen zu müssen. «Egal, aus welcher Zeit ein Gebäude stammt – überall gibt es räumliches Potenzial. Darum braucht es Architekt:innen, denn wir können dieses beim Namen nennen.»

Umbau Flarzhaus, Uster: Von aussen blieb das Bild des historischen Bestandes weitgehend intakt.

Das Modell visualisiert den neuen Hinterbau mit einer stabilen Betontreppe, die gerade mal fünf Zentimeter dick ist.

Der Hinterbau ist nicht nur Erschliessung, sondern wird auch als Wohnfläche genutzt – so zum Beispiel als Teil der Küche, die mit unter­schiedlich hohen Stützen auf der Treppe steht.

In ihren Projekten sind sie zudem be­strebt, ein möglichst langlebiges Resultat zu schaffen. «Uns ist bewusst, dass auch wir mit unseren Bauten gewisse Konventionen und Lebensgewohnheiten in Stein meisseln, die wahrscheinlich in zwanzig Jahren wieder überholt sein werden. Wir müssen uns also die Frage stellen: Wie schaffen wir es, etwas, das aus ganz vielen verschiedenen Bedingun­gen gewachsen ist, in die heutige Zeit zu übersetzen und gleichzeitig in die Zukunft zu denken? Wir wollen etwas mehr schaffen als nur ein weiteres Relikt seiner Zeit.» Ein eindrückliches Beispiel dafür ist ihr Umbau eines Flarzhauses in Uster. Diese Haustypo­logie gehörte meist Kleinbauern und vereinte Wohnen, Arbeiten und Lager in einem Ge­bäude. Die Räume sind klein, die Decken niedrig. Nach intensiver Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege fanden Balissat Kaçani eine Lösung, diese in die heutige Zeit zu über­tragen: Sie kreierten einen Hinterbau mit einer Treppe und bewohnbaren Podesten, der zugleich die gesamte Haustechnik aufnimmt. Die Treppe stabilisiert zudem die teilweise maroden Holzbalken des Bestandes, sodass dieser als Zeitzeuge weiterbestehen kann.

Offener Wohnraum mit einer zentralen Betonstütze, dahinter ein graues Küchenmöbel, links ein Ausgang zum Garten

Umbau «Haus M», Baden: Beim Umbau dieses Hauses aus den 1950er­ Jahren stellte sich heraus, dass der Bau von einer einzigen Betonstütze getragen wird. So konnten die kleinen Kammern entfernt und eine neue Grosszügigkeit geschaffen werden.

Letztlich ist das Geheimnis hinter dem Erschaffen möglichst zeitloser Gebäude ein Umwandeln von spezifischen in allgemeine Bedürfnisse. Zum Beispiel brachte die Pan­demie das Thema Homeoffice ins Spiel. Viele wünschten sich abgeschlossene, schallisolierte Räume, damit die Kinder bei der Arbeit nicht stören. «Von diesen spezifischen Bedürfnissen ausgehend kann man dann ganz allgemein über Rückzug nachdenken – ein Raum, der Rückzug ermöglicht, ist von der Zeit los­gelöst.» Gerade beim Ausformulieren der Bedürfnisse einer Bauherrschaft sehen sie das Mitwirken von Architekt:innen als es­senziell: «Architektur sollte früher ansetzen und mitgestalten, damit wir mit den Bauherr­schaften auch unausgesprochene Bedürfnisse klären können. So entstehen nicht quantita­tive Anforderungen wie zum Beispiel Raum­grösse oder -anzahl, sondern vielmehr qua­litative Kriterien – wie sollen die täglichen Interaktionen, das Zusammenleben aus­sehen?» Dahin gehend haben Didier Balissat und Joni Kaçani gemeinsam mit dem So­ziologen Bernhard Böhm das Unternehmen panorama.space gegründet, um in diese Rich­tung weiterzuforschen.

www.balissatkacani.com

Umbau Oesterliwaldweg, Baden: Dieses Doppeleinfamilienhaus aus den 1940er­-Jahren wurde aufgrund der Ressourcenknappheit mit einfachsten Mitteln gebaut.

Ein neuer Treppenaufgang in einer ehema­ligen kleinen Kammer erschliesst das neu aus­ gebaute Dachgeschoss. Der Einbauschrank mit Spiegel lässt den Raum doppelt so gross wirken.

Die neue Lukarne schafft mehr Grosszügig­keit im Dachgeschoss.