Eat, Drink, Design, Repeat – Teil 3

Salone del Mobile 2025

Und das soll es schon gewesen sein? Nach vier intensiven Tagen zwischen Designhimmel und Menschenmassenhölle erwache ich wieder in meinem eigenen Bett und realisiere, dass heute Nichts und Niemand auf mich wartet. Ausser meiner Hündin Lillifee, aber das zählt nicht, weil ihr Schwanz nur so penetrant gegen meine Schlafzimmertür donnert, weil sie mal austreten muss. Kein Interview, kein Apéro, keine Zufallsbegegnungen in den Messehallen oder der Stadt und kein WhatsApp-Bilderspam der Kolleg:innen, den es noch zu verarbeiten gilt. Ich bin wieder selbstbestimmt – oder mir selbst überlassen, diese Frage kann ich gerade noch nicht beantworten. Bevor ich das tue, bevor ich mich für eine «Seite» entscheide (oder auch nicht, schliesslich muss man alles haben wollen, um alles bekommen zu können) noch ein Blick auf die letzten beiden Messetage. Strahlend am Milaneser Firmament wären da zunächst einmal die Leuchtenneuheiten:

Es ist eine ureigener, menschlicher Trieb, sich da zu versammeln, wo es warm ist. Das deutsche Unternehmen Grau übersetzt diese Anziehung in eine Art überdimensionales Lagerfeuer. Poesie pur.

Der kunstvolle Umgang mit Glas, kombiniert mit ausgeklügelter Technik und handwerklicher Perfektion machen die Leuchten von Brokis zu zeitlosen Schmuckstücken.

«The Light of the Mind», so das Motto des Messeauftrittes von Flos. Set Design und Videoinstallationen stammen vom Designstudio Formafantasma. Die Leuchte «Maap» von Erwan Bouroullec.

Frühling bei Zafferano. Kräftige Farben und delikate Blüten machen Lust auf Dinner im Freien.

Der holländische Leuchtenhersteller Quasar ist bekannt für seine filigranen Pendelkonstruktionen, die als Gesamtkunstwerke auch grosse Räume schmücken.

Die Leidenschaft für Technik manifestiert sich bei Occhio in feurigem Rot. 

Der italienische Leuchtenhersteller Contardi startete eigentlich im Contract-Bereich. Jetzt erobern die Leuchten auch das private Zuhause.

Unterwasserwelten – die fluiden Leuchten von Aqua Créations wabern wie schillernde Quallen unter dem Meer.

Bei Lodes geben Geckeler Michels den Weg vor: «Map» verbindet einzelne Elemente zu einer Lichtkarte.

Ein Besuch der Euroluce ist mindestens so aufregend, wie ein Besuch in den Möbelhallen, für die Aussteller jedoch nicht selten eine grössere Herausforderung, die Leuchten, so zu inszenieren, dass sie in all ihren Facetten, ein- und ausgeschaltet, überzeugen. Ich weiss gar nicht warum beim Salone-Besuch immer zuerst alle in die Möbelhallen rennen, dabei erscheint es doch sinnvoller mit Leuchten zu starten, um zu fortgeschrittener Stunde dann eines der vielen neuen Sofas «Probe zu sitzen». Oft schon habe ich mich gefragt, ob die Aussteller bereits gemerkt haben, dass das Verweilen/Probe sitzen an einem Stand sowie das Interesse an technischen oder stofflichen Feinheiten eines Sofas gegen Ende des Tages exponentiell in die Höhe schnellen? 

 

Koffer packen für Pedro

Der allerletzte Messetag ist in der Regel ein halber, denn am späten Nachmittag fahren die Züge zurück in die Monotonie. Die Glücklichen können das Gepäck noch im Hotel deponieren, während sie ein letztes Mal die Stadt nach Entdeckungen durchkämmen. Die weniger vom Schicksal begünstigten (und ich) ziehen ihre vollgepackten Rollköfferchen über zwar schmuckes, aber unpraktisches Kopfsteinpflaster in der Innenstadt. Auch an meinem letzten Tag sind die Showrooms brechend voll und überraschenderweise endet die längste Schlange, die ich gesehen habe nicht etwa vor einem der Top-Designmöbelhersteller, sondern vorm kleinen, unscheinbaren Wägelchen von Byredo! Fotograf Dirk Wetzel und ich konnten ebenso wenig herausfinden, mit welchem Opium der Duftprofi das Volk verführte, wie Verlegerin Felicitas Storck und Chefredakteur Roland Merz. Jänu, denke ich mir, und pilgere weiter Richtung Abschlusshighlight: Kultregisseur Pedro Almodovar hat mit dem französischen Unternehmen Roche Bobois eine Capusle-Kolletkion entwickelt, die das Leben feiert. Gleichzeitig sind die Stücke eine Hommage an den Regisseur selbst, sein Werk und seine Musen Penelope Cruz und Rossy de Palma. Rot, Blau, Gelb und Grün strahlen in voller Kraft, nix ist mit Pastellfarben oder «auf Nummer sicher gehen». Das Couchensemble ist limitiert auf 50 Stück, wer sich in Technicolor einrichten will, der sollte also schnell sein.

Die Blumenmotive sind inspiriert von Penelope Cruz' Kleidern im Film «Volver».

Das Design des Sofas ist eine Weiterführung von Hans Hopfers Klassiker «Mah Jong.»

Eher die Ausnahme ist ein heller Grundton. Spielerisch wird das Ensemble durch die poppigen Kissen.

Alles auf Rot. Sofa «Bubble» von Sasha Lakic in Almodovar-Rot.

Ikonisch: Der Stiletto mit Revolverabsatz als «Filmvorhang.»

Selbst bestimmt oder mir selbst überlassen?

Auf diese Frage bin ich euch, getreue Leserschaft, aber vor allem mir selbst, noch eine Antwort schuldig. Von Schmerz und Schönheit schrieb ich im Auftakt und tatsächlich ist diese Verbindung bei einer Messe wie dem Salone del Mobile eine ebenso geschätzte wie gefährliche. Und das übrigens egal, welche Schuhe man trägt (zum Einsatz kamen dieses Jahr 10 Jahre alte, halbhohe Doc Martins und flache Mary Janes in Tigeroptik). Lohnt es sich? Aber ja doch, natürlich lohnt es sich, in diesen Kosmos abzutauchen. Auch wenn die Füsse brennen und der Kopf brummt und die Tage und Nächte wie ein Rausch über dich hineinbrechen. So ein Messebesuch lehrt allerdings ebenso Demut und Dankbarkeit. Wenn aus gelegentlichem Eskapismus Fremdbestimmung wird und die Grenzen zwischen Haben und Sein verschwimmen, dann sollte man einen Schritt aus dem Rausch hinausgehen und ihn wieder mit Abstand betrachten. Nur dann kann man ein Über-Erlebnis wie den Salone del Mobile schätzen, wenn man weiss, dass der Traum nach einer Woche ausgeträumt ist. Und so geniesse ich es ab sofort wieder, mir selbst überlassen zu sein und das, absolut selbstbestimmt. 

Ciao Milano. Und euch, danke fürs Mitlesen.